Lawinenairbag Studie? Lawinenairbag Statistik? Gibt es. Was ein Lawinenairbag wirklich bringt, darüber gab es immer wieder Untersuchungen. Wir hatten darüber berichtet: Was bringt ein Lawinenairbag (wirklich)? Dabei kamen einige Studien von den Herstellern selber, andere sind nicht mehr aktuell und weitere nicht vergleichbar. Daher machten sich Pascal Haegeli mit einer Reihe von Autoren auf – sie analysierten und bewerteten in einer internationalen Studie die Wirksamkeit von Lawinenairbags.
Obwohl es Lawinenairbags seit bald 30 Jahren auf dem Markt gibt, haben sie sich erst in den letzten Jahren durchgesetzt und verbreiten sich nun rasant. Das Angebot an Herstellern und Modellen ist gross – siehe Lawinenairbag Vergleich 2014/2015. Auch wird an weiteren Ideen, neuen Systemen gearbeitet.
Das Potenzial eines Lawinenairbags ist gross. Er ist momentan immer noch der einzige Ausrüstungsgegenstand, der aktiv eine Verschüttung verhindern oder zumindest beeinflussen kann. Nicht als Ersatz, aber als Zusatz zur Standard-Sicherheitsausrüstung (LVS, Sonde, Schaufel) ist er nützlich. Doch wie nützlich genau? In Feldtests und mathematischen Modellen überzeugt das System und die Hersteller sprechen demnach von «97 % Überlebenschance» oder «8-mal sicherer». Viele dieser Aussagen und vorhandenen Studien beruhen auf einem europäischen Datensatz (Brugger et al. 2007), der vom Airbaghersteller ABS und vom Schweizer WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF zusammen erfasst wurde. Nach Haegeli und Kollegen eignen sich diese Daten aber «nicht alle für eine statistische Analyse der Wirksamkeit» (Haegeli, 2014).
Haegeli und Kollegen führten eine neue Studie durch – grösser, geographisch breiter abgestützt. Sie nahmen die Wirksamkeit unter die Lupe, vor allem auch in Bezug auf die Sterblichkeitsrate. Sie versuchten die Fragen zu beantworten, wie die Benutzung eines Lawinenairbags die Sterbewahrscheinlichkeit bei einer ernsthaften Lawinenerfassung beeinflusst. Und welcher Anteil von Lawinentoten bei verbreitetem Gebrauch von Lawinenairbags verhindert werden könnte.
Lawinenairbag Studie 2014 – die Ergebnisse
- Von 100 Opfern ohne Airbag wurden 22 getötet.
- Von 100 Opfern mit aufgeblasenem Airbag wurden 11 getötet.
Anders ausgedrückt – bei 100 Lawinenunfällen liegt die Sterbewahrscheinlichkeit ohne Airbag bei 22.2 %. Mit aufgeblasenem Airbag reduziert sie sich auf 11.1 %.
Grösstes Problem beim Lawinenairbag ist und bleibt die Auslösung. Die 11-Prozentpunkt-Reduktion der Mortalität repräsentiert den Optimalfall-Effekt, wenn der Airbag ausgelöst wurde. Dies ist aber nicht immer der Fall, bestätigte auch diese Studie. In rund 20 % der Fälle wird der Airbag nicht ausgelöst/aufgeblasen. Berücksichtigt man die Nicht-Auslösungen, sehen die Ergebnisse so aus:
- Von 100 Lawinenopfern ohne Airbag wurden 22 getötet.
- Von 100 Lawinenopfern mit aufgeblasenem Airbag wurden 13 getötet.
Das bedeutet, dass 9 zusätzliche Personen – das entspricht 41 % der Lawinentoten – mit einem Lawinenairbag überlebt hätten.
Nach der neuen Studie sind Lawinenairbags ein wertvoller Notfall-Ausrüstungsgegenstand, aber die Auswirkungen auf die Überlebenswahrscheinlichkeit sind kleiner als bis dato angenommen wurde. Ein Überleben garantiert ein Lawinenairbag nicht – die Mortalität von Airbag-Nutzern ist signifikant höher als bis anhin berichtet – auch mit Lawinenairbag kamen 13 % ums Leben.
Lawinenairbag Problem Nummer 1 – die Auslösung
Die Gründe für eine nicht-aufgeblasene Airbags sind vielfältig: 60 % wurden nicht ausgelöst durch den Benutzer, 17 % hatten Gerätefehler (z.B. Probleme, die zu Revisionen beim Design oder der Produktion führten), 12 % hatten Wartungsfehler (z.B. war die Patrone nicht richtig eingesetzt) und 12 % wurden während des Lawinenabgangs zerstört.
Da 60 % der Fälle auf eine fehlende Aktivierung durch den Nutzer zurückzuführen sind, ist die Vertrautheit mit dem Auslöseprozedere und eine korrekte Wartung für ein einwandfreies Funktionieren des Airbags von höchster Bedeutung!
Lawinenairbag Wirksamkeit – Grösse der Lawine
Wichtig ist, ein Lawinenairbag ist lange nicht der einzige Faktor, welcher die Überlebenschance in einer Lawine beeinflusst. Auch der Standort des Opfers bei der Lawinenauslösung, die Eigenschaft des Lawinenauslaufes, ob man verletzt wird oder ob man ein LVS trägt und vor allem die Lawinengrösse sind wesentliche weitere Einflussfaktoren für den Ausgang bei einer Lawinenerfassung. Je grösser eine Lawine ist, desto weniger bringt ein Lawinenairbag.
Geht man mit einem Lawinenairbag ein höheres Risiko ein?
Kurz gesagt: vermutlich ja.
Haegeli und Kollegen haben diese Fakt nicht untersucht, erwähnen aber, dass die sogenannte «Risikokompensation» in anderen Gebieten gut erforscht ist. Sie erwähnen eine Studie von Hedlund (2000), die vier Merkmale aufführt, die eine Risikokompensation begünstigen – Lawinenairbags erfüllen diese. Daher lässt sich daraus schliessen: das Potenzial mit einem Lawinenairbag ein höheres Risiko einzugehen, ist klar vorhanden.
Problematisch ist es vor allem unter Freizeitsportlern, die primär am athletischen Aspekt des Sportes interessiert sind. Auch weisen die Autoren darauf hin, dass der persönliche Sicherheitsgewinn durch einen Airbag schnell zunichte gemacht wird, wenn der sich Nutzer deshalb in heikleres Gelände begibt, wo grössere Lawinen wahrscheinlicher sind.
Quellen, Infos
Neben der Standard-Sicherheitsausrüstung und einem Lawinenairbag ist eine gute Ausbildung im Bereich Lawinenkunde Grundvoraussetzung. Als Lawinenexperte biete ich solche Kurse an – für Anfänger, Einsteiger und auch für Erfahrene, die ihr Wissen auffrischen wollen oder auch für Tourenleiter, z.B. vom SAC, die auf den neusten Stand kommen wollen. Schau mein Kursangebot hier bzw. frag mich direkt an!
Wer es genau wissen will, findet die Studie im Original im Journal Resuscitation, www.resuscitationjournal.com, Haegeli et al., 2014. Eine Zusammenfassung mit den Hintergründen der statistischen Auswertung findest Du zudem in der Zeitschrift bergundsteigen, www.bergundsteigen.at, Ausgabe 3.2014 – Die Wirksamkeit des Lawinenairbags von P. Haegeli, M. Falk, B. Zweifel, E. Procter, F. Jarry, S. Logan, K. Kronholm, M. Biskupic, H. Brugger.
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