Frauen und Bergsport – der weibliche Zyklus als Leistungsfaktor
Als Frau kennst du das sicher: An einem Tag fühlst du dich, als könntest du Bäume ausreissen. Beim Klettern hältst du die kleinste Mikroleiste, kannst durchziehen, nichts kann dich stoppen. Völlig beseelt willst du dann kurz darauf an diese Leistung anknüpfen und plötzlich geht nichts mehr. Du fühlst dich schlapp, hast keine Spannkraft, jeder Griff ist plötzlich winzig. Noch nicht einmal der Kopf will mitspielen. Die Hakenabstände sind unzumutbar und die Clip-Position eine Katastrophe. Du stirbst tausend Tode, während du dich unmotiviert eine Route hochquälst. Was ist da los? Nun, vermutlich durchkreuzt dir gerade dein Zyklus die hochfliegenden Pläne. Schon mal darüber nachgedacht?
Am 14. Mai 2024 lud der Bergsport-Spezialist Bergzeit zur Diskussionsrunde mit Gela Allmann, ambitionierte Ausdauersportlerin, Sportwissenschaftlerin und Mental-Coach, in die Filiale nach Gmund am Tegernsee ein. Intensiv wurden die Themen mentale Gesundheit, mentale Stärke und Trainingsprinzipien diskutiert. Die Teilnehmerinnen des Workshops brachten ihre eigenen Erfahrungen mit und schnell wurde klar, dass neben dem richtigen Mindset auch der Körper und die passende Ausrüstung wichtig sind, um eine ideale Balance für das Training – aber auch für einen Wettkampf – schaffen zu können.


Einfluss des weiblichen Zyklus auf den Sport
Der weibliche Zyklus beeinflusst Frauen massiv. Dabei geht es nicht nur darum, ob wir gerade Bauchkrämpfe oder Heisshungerattacken haben. Er beeinflusst auch unsere Stimmungslage. Das Prämenstruelle Syndrom (PMS) ist mittlerweile weithin bekannt. Es kann Kopf- und Brustschmerzen verursachen, aber auch Stimmungsschwankungen, Depressionen, Gereiztheit und Angstzustände. Wer unter PMS zu leiden hat, wird in der Situation sicher keine sportlichen Höchstleistungen abliefern.
Weniger bekannt ist, dass der Zyklus auch beeinflusst, wie willensstark und wie risikofreudig wir sind. Verrückt? Ist aber so. Experimente haben gezeigt, dass Frauen etwa in der Mitte ihres Zyklus risikofreudiger sind als zu anderen Zyklusphasen. Damit einher geht übrigens auch ein erhöhtes Verletzungsrisiko, das um die Mitte des Zyklus herum ebenfalls ansteigt.
Sportlehre berücksichtigt weiblichen Körper kaum
Diese Zusammenhänge werden im Sport noch kaum berücksichtigt. Kein Wunder, kommt der weibliche Zyklus doch auch in der Sportlehre noch viel zu wenig vor. Die meisten Trainingsmethoden und Trainingspläne beziehen sich auf Männer und wurden dann verallgemeinernd auf Frauen übertragen.
An sich nicht überraschend, schaut man sich die Geschichte der Frauenbewegung an. Warum sollte es im Sport anders sein als in fast allen anderen Lebensbereichen. Zumal die Medizin erwiesenermassen bis heute in den allermeisten Studien die Besonderheiten des weiblichen Körpers ebenfalls weitgehend unbeachtet lässt.
Wandel setzt allmählich ein
Die gute Nachricht: Es setzt ein Wandel ein. Langsam zwar, aber spürbar. Die Frauen von heute sind meist selbstbewusster als noch ihre Mütter. Und mehr Frauen zieht es in den Bergsport als früher. So rücken weibliche Bedürfnisse im Bergsport in den Vordergrund. Das fängt mit Bergsportfirmen an, die Frauen seit den 2010er-Jahren verstärkt als Markt entdecken. Und das geht bis zu Fragen der Trainingslehre. Denn ambitionierte Sportlerinnen wollen massgeschneiderte Trainingspläne, die wirklich passen. Immer mehr Frauen hören auf ihren Körper und suchen nach Antworten auf die Frage: Warum schwankt meine Leistung so stark? Wie kann ich darauf reagieren?
Diese wichtige Diskussion ist Träger des Wandels. Der wird auch getragen von Leistungssportlerinnen wie Gela Allmann. Sie ist nach eigener Aussage Bergausdauersportlerin. Bis 2014 war sie auch Trailrunnerin, hat viele Treppchen bestiegen und zahlreiche Preise gewonnen. Bis 2014 ein katastrophaler Bergunfall dieser Sportlaufbahn ein jähes Ende setzte. Sie entrann nur knapp dem Tod. Es war lange unklar, ob sie je würde wieder gehen können. Mit viel Willenskraft und Disziplin kämpfte sie sich zurück. So weit, dass sie heute sogar wieder Skimarathons mitlaufen kann.
Ihre bemerkenswerten Erfahrungen gibt Allmann in Coachings und bei Vorträgen weiter. So auch in der kleinen, intimen Gesprächsrunde, zu der ich vom Ausrüster Bergzeit nach Gmund am Tegernsee eingeladen bin. Geladen sind ausschliesslich Frauen. Es geht um Frauen im Bergsport und ihre Bedürfnisse. Am heissesten entspannt sich das Gespräch, als es um den Zyklus geht.
Weiblicher Zyklus und Bergsport – Gela Allmann als Vorreiterin
«Die Prinzipien der Trainingslehre können gar nicht funktionieren, weil wir Frauen einfach dem Zyklus unterliegen.» So klar formuliert Gela Allmann ihre Ansichten. Sie hat sich intensiv mit dem Zusammenhang von Leistungsfähigkeit, mentaler Verfassung und weiblichem Zyklus beschäftigt. «Mit Beginn der Blutung steigt das Östrogen schrittweise an bis zum Eisprung. Mit dem Östrogenspiegel steigt auch die Serotoninausschüttung an. Und dank des Serotonins kommen wir in unsere Energie, werden mutiger und willensstärker», erklärt Allmann die Zusammenhänge kurz und knackig.
Selbst der Muskelaufbau, die Koordination und die Schnelligkeit lassen sich in dieser Phase der ersten Zyklushälfte besser und wirkungsvoller trainieren. «Intensives Krafttraining und auch Ausdauertraining bieten sich in dieser Zeit ganz besonders an», rät die Sportlerin.
Ob sich intensive Workouts während der Menstruation anbieten, müsse jede Frau für sich entscheiden, weil die Beschwerden ja auch sehr individuell seien. Allmann gibt aber zu bedenken, dass leichtes Training auch helfen könne, Beschwerden zu lindern. «Ich spüre die Auswirkungen des Zyklus auf meine Leistungsfähigkeit extrem», verrät sie. «In den ersten zwei Wochen meines Zyklus kann ich voll über meine Grenzen gehen, bin gewillter, alles aus mir herauszuholen, ich bin voll in meiner Kraft. Und dann kommt der Eisprung», sie lacht. Denn der Eisprung wendet das Blatt.
Um den Eisprung herum verändert sich der Hormoncocktail erneut, was das Verletzungsrisiko negativ beeinflusst. Denn die Hormone beeinflussen die Festigkeit der Sehnen und Bänder. Der Körper bildet Progesteron in Vorbereitung auf eine mögliche Schwangerschaft und die Körpertemperatur steigt im Schnitt um 0,5 Grad. Für die Körperenergie bedeutet das: Energie wird vor allem für die Wärmeregulation aufgewendet und fehlt in der Muskelkraft. Die körperliche Leistungsfähigkeit sinkt.
Aus eigener Erfahrung weiss Allmann: «Die dritte Woche ist nicht die Zeit für intensives Kraft- und Ausdauertraining.» Gela richtet deshalb ihr Training möglichst nach dem Zyklus aus: «Ich versuche schon, die intensiven Trainingseinheiten auf die erste Hälfte des Zyklus zu legen, nach den ersten Tagen der Menstruation.» Sie fährt fort: «Das mache ich aber automatisch, weil ich merke, dass ich die Power habe.» Ganz anders in der dritten Woche: «Wenn das Östrogen abgefallen ist und das Progesteron sein Hoch hat – das macht mich fertig! Ich bin müde und überhaupt nicht leistungsfähig.»
Zyklus beeinflusst Adaptionspotenzial
Trotzdem durchzupowern, gegen den eigenen Körper, macht letztlich wenig Sinn – Stichwort Adaptionspotenzial. Die erbrachte Leistung kommt einfach nicht im gewünschten Masse als Trainingseffekt im Körper an. Im Gegenteil: Im schlechtesten Fall wird man auch noch krank, weil man anfälliger für Infekte ist.
«Ich hatte zur Sella Ronda heuer mein perfektes Hoch. Das war kurz vorm Eisprung und das war perfekt. Nun habe ich mich aber auch zum Everesting angemeldet. Da macht man 8’848 Höhenmeter. Und der Termin liegt auf meinem absoluten Tiefpunkt. Ich bin gespannt, wie sich das verhalten wird.»
Gela Allmann
Die erfahrene Wettkampfsportlerin hört gut in ihren Körper hinein und weiss genau, wann sie Leistung besonders gut abrufen kann.
Trainingsplanung trotz Zyklus
Leider lässt sich die Wettkampfplanung nicht so leicht am Zyklus ausrichten. Zumal der Zyklus nicht immer regelmässig abläuft. Das liegt an vielen verschiedenen Faktoren, einer davon ist die Ernährung, ein anderer das Training selbst. Mit anderen Worten kann es also sein, dass sich der Zyklus so verschiebt, dass sich Frau am Wettkampftag in einer anderen Phase befindet als ursprünglich geplant. Komplizierte Sache!
Dennoch lohnt es sich ungemein, sich mit dem eigenen Zyklus auseinanderzusetzen. Ein guter Weg ist es, den Zyklus mit dem Kalender zu tracken und in den Körper hineinzuhören. So kommen wir Regelmässigkeiten und Schwankungen auf die Spur und können diese für uns nutzen.
Allmann verrät, dass die meisten Leistungssportlerinnen aus ihrem Umfeld die Blutungen komplett unterdrücken und so versuchen, den Zyklus auszuschalten. Nachvollziehbar, wenn man sieht, wie komplex das Thema ist. Mit Zyklus ist es schlicht zu schwierig, gleichbleibend starke Leistungen zu bringen. Allmann selbst hat zehn Jahre lang auf zyklusunterdrückende Hormonpräparate gesetzt. Durchaus gefährlich, denn es ist noch nicht ausreichend erforscht, welche Folgen so starke Eingriffe in den Hormon haushalt haben. Sie ist froh, nun komplett auf Hormonpräparate zu verzichten.
«Es tut gut, die eigene Weiblichkeit zu leben und so achtsam mit sich zu sein.»
Gela Allmann
Bedürfnisse artikulieren
Die Gesprächsrunde mit Allmann zeigt: Das Thema bewegt sportliche Frauen. Kein Wunder, immerhin ist der Zyklus ein ziemlich präsenter Teil im Leben einer jeden Frau. An diesem Abend sind wir uns einig darüber, dass es hilft, sich auszutauschen. Mehr Menschen – nicht nur Frauen – sollten die Zusammenhänge von Sport und Zyklus kennen. Die Medizin sollte noch mehr forschen, die Sportlehre sollte Trainingspläne anpassen und Frauen sollten sich und ihren Körper achtsam beobachten. Gela Allmann ist Vorreiterin in dieser Debatte. Es lohnt sich, ihr zuzuhören.
Mehr Infos zum Thema Frauen und Bergsport: https://www.bergzeit.de/magazin/thema/frauen-bergsport/


Weiblicher Zyklus und Bergsport Fotos: © Bergzeit